Nach BR-Recherchen werden bundesweit im Jahr mehr als eineinhalb Millionen Milchkühe "aussortiert". Tiermediziner und Wissenschaftler sprechen von Qualzucht.
Im Durchschnitt muss eine Kuh heute etwa doppelt so viel Milch geben wie in den 1970er-Jahren. Das bedeutet einen Anstieg von 4.000 kg auf 8.000 kg pro Tier. Die hohe Leistung hat ihren Preis, sagt der Agrarwissenschaftler Matthias Gauly von der Universität Bozen: "Wir haben Probleme mit der Tiergesundheit und entsprechend auch mit dem Tierwohl, und das ist etwas, was wir dringend ändern müssen."
Mehr Leistung, mehr Erkrankungen
Laut dem Agrarwissenschaftler Gauly gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen Leistung und Erkrankungen. Vor allem seien die Euter stark belastet, was häufig zu Entzündungen führe. Zudem komme es beispielsweise auch zu schweren Stoffwechselkrankheiten. Besorgniserregend ist für den Wissenschaftler die geringe Lebenserwartung der Tiere: Anstatt 15 bis 20 Jahre werden Milchkühe im Durchschnitt heute nur fünf bis sechs Jahre alt. "Es gibt eindeutige Statistiken, die zeigen: Je höher die Leistung der Tiere ist, desto früher gehen Tiere ab.“
Wie viele Milchkühe abgehen, das heißt jährlich aus deutschen Ställen aussortiert werden, wird nicht zentral erfasst.
Tiere werden aussortiert
Nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks sind nach aktuellsten Zahlen rund 1,7 Millionen Milchkühe im Jahr aussortiert, also geschlachtet oder in der Tierkörperverwertung entsorgt worden. Die meisten wegen Verletzungen, Krankheiten oder zu geringer Milchleistung. Das ergab eine Abfrage bei Verbänden der Milchwirtschaft in allen 16 Bundesländern.
Qualzucht bei Milchkühen?
Die Politik müsse den Mut haben, für mehr Tierwohl zu sorgen, so der Wissenschaftler Matthias Gauly. Diese Ansicht teilt auch die Berliner Landestierschutzbeauftragte Diana Plange. Das größte Problem der Milchviehwirtschaft sei die Zucht auf Leistung. Die Leistungsgrenze der Tiere sei längt überschritten, in vielen Fällen würden die Kühe regelrecht "kaputt gemolken“. Sie spricht von Qualzucht, die ist gesetzlich verboten.
Ministerium sieht keinen Handlungsbedarf
Landestierschutzbeauftragte Diana Plange fordert Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner auf, einzugreifen und Leistungsgrenzen für Milchkühe zu definieren. Auf BR-Anfrage schiebt das Ministerium die Verantwortung auf die Bundesländer, sie seien für die Umsetzung des Qualzuchtverbots zuständig. Für die Einführung von Leistungsgrenzen sieht das Ministerium keinen Handlungsbedarf, fordert aber von den Ländern mehr Kontrollen in den Ställen.
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Plusminus vom 08.05.2019 - 23:00 Uhr